ECA HISTORIE

25 Jahre European Coaching Association – ein Interview aus dem Jahr 2019

Coaching gestern, heute, morgen

Interview mit ECA-Präsident Bernhard Juchniewicz.
Von Dr. Ludger Brüning.

Die European Coaching Association feierte in 2019 ihr 25jähriges Bestehen. Das macht sie zum ältesten Berufsverband für Coaches in Deutschland und wahrscheinlich sogar zum ältesten internationalen Coaching-Verband in Europa und darüberhinaus. Nach meiner Kenntnis wurde jedenfalls vor 1994 kein anderer Coachingverband gegründet. Wie kam es zu seiner Gründung?

Wer sich mit Coaching beschäftigt, weiß, dass Dinge selten gradlinig verlaufen, dass es hilfreich ist, einen offenen Blick für Chancen zu haben, und dass es manchmal mehrerer Anläufe bedarf. Das ist bei Projekten und der Gründung von Verbänden nicht anders, besonders dann, wenn Neuland betreten wird.

Anfang der Neunziger Jahre war Coaching noch um vieles mehr als heute ein schwammiger Begriff, der, wenn überhaupt, auch für Therapie, Training und Consulting benutzt wurde. Klare Abgrenzungen sind erst später in enger Verbindung mit der Etablierung eines eigenen Berufsbildes für Coaches erfolgt. Die Zeit war von der Wiedervereinigung, aber auch von der kurz darauf erfolgenden verstärkten Europäisierung geprägt. 1992 wurde die EG in die EU überführt. So galt es verstärkt Brücken im Innern und im Außen zu bauen.  Für sogenannte strukturschwache Gebiete gab es vermehrt europäische Fördermittel durch den Europäischen Sozialfond (ESF). Damit konnten auch psychosoziale Projekte gefördert werden. Teile von Nordrhein-Westfalen und insbesondere die alte Kohle- und Stahlregion des Ruhrgebietes gehörte zu den Fördergebieten und eine Gruppe von zehn Leuten um den Dipl.-Psych. Ralf Mehlmann wollte diese Chance nutzen und eigene Projekte anbieten. Sie arbeiteten bereits im psychosozialen Bereich und die Mehrzahl von ihnen war damals therapeutisch tätig. Die noch diffuse Bedeutungsbreite von Coaching ließ viele Möglichkeiten offen und es bestand der Wunsch, grenzüberschreitende Projekte umzusetzen, da lag der Name European Coaching Association nahe. Damit war der Name geboren. Aber vieles war noch unklar, eine erste Idee, wenn man so will.  Inhaltliche Konzepte fehlten weitgehend und formelle und juristische Anforderungen waren große Herausforderungen, so dass die Idee schließlich einschlief und praktisch vor dem Aus stand.

In veränderter Zusammensetzung haben wir uns dann 1996 erneut zusammengesetzt und Nägel mit Köpfen gemacht: die ECA auf Vereinsbasis gegründet und eintragen lassen und aus unseren Projekten heraus nahm die Vision eines europäischen Berufsverbandes für Coaches mehr und mehr Kontur an. All das und was sich noch entwickeln sollte, wäre aber ohne die ersten Schritte, die die ersten Meetings 1994 gingen, nicht möglich geworden, insbesondere, dass nun als erster deutscher Berufsverband für Coaches gleich einer mit europäischer Ausrichtung und Perspektive entstand, indem Networking, Kollegialität und gegenseitiger Austausch von Anfang an eine große Rolle spielten.

Wie unterschied sich Coaching damals von heute – wenn man heutige Begrifflichkeiten anwenden will. Und was waren seine Rahmenbedingungen?

Auch damals gab es bereits eine große Methodenvielvielfalt, auch wenn später sich Akzente verschieben und eine fast inflationäre Entwicklung einsetzen sollte. Der Coaching-Bereich war zunächst stark von seiner Nähe zur Therapie geprägt. Umgekehrt wurde Coaching auch zunehmend als Chance und Plus im nicht-klinischen Bereich entdeckt. Die Unternehmen begannen vermehrt ihre Mitarbeiter als Human Capital zu sehen und entsprechend in sie zu investieren. Das zog auch eine ganze Reihe verkaufsorientierter Opportunisten an. Selbsternannte Gurus füllten ganze Hallen und schadeten – und tun das heute in gewissem Sinne noch – mit ihren wagemutigen Versprechungen dem neu entstehenden Berufsbild. Seriöses Coaching von den Versprechen der Erfolgscoachs abzugrenzen ist eine Daueraufgabe geblieben. Methodisch waren in den Neunzigern, was den professionellen, seriösen Ansatz betrifft, die Klientenzentrierte Gesprächsführung nach Carl Rogers und die Themenzentrierte Interaktion (TZI) nach Ruth Cohn sehr beliebt.

Was waren die größten Herausforderungen der Anfangszeit?

Allein im Therapie-Bereich gab es bis zum Psychotherapeutengesetz von 1999 circa 600 Methoden. Das Gesetz macht zwar die zugelassenen Therapeuten unabhängig von delegierenden Ärzten, schränkte aber im Gegensatz zu Österreich die zugelassenen Methoden auf psychoanalytische und verhaltenstherapeutische Verfahren ein. Damit wurde nicht nur eine Vielzahl von Verfahren ausgegrenzt – teilweise vielleicht berechtigt, zum Teil aber auch lobbyistisch, wenn man etwa an das Ergebnis der Studie von Klaus Grawe zur Wirksamkeit von Methoden denkt. Es entstanden auch neue Konkurrenzlinien. Wer nicht mehr über Kasse abrechnen konnte, suchte im nicht-klinischen Bereich ein weiteres oder neues Standbein. Das Human Resources Development war selbst dabei, sich neu zu erfinden, und bot neue Möglichkeiten. Und so zeichnete sich ein erster Boom ab. Anders als heute verfügten damals viele der neuen Coaches über einen breiten Erfahrungsschatz in psychosozialer Kompetenz, da sie ja auch derartigen Arbeitsfeldern kamen. Was ihnen fehlte, war Business Background und Erfahrung in der Arbeit mit Gesunden. Da lag die Versuchung in alte Denkmuster zu fallen und zu Psycho-Pathologisieren natürlich nahe zumal auch manche ihrer früheren Kollegen die Arbeit im Business-Bereich als lukrative Neben- oder Haupteinnahmequelle entdeckten und dann am liebsten für sich monopolisiert hätten. Ein gewisser Interessenlobbyismus hält bis heute an und trägt auch zur verzerrten Wahrnehmung von Coaching in der Öffentlichkeit bei. Wenn Coaching als das schönere Wort für Therapie missverstanden wird, führt dieses zu irrationalen Berührungsängsten und mancher überlegt sich zweimal, ob er die Schwelle zur Coach-Praxis überschreitet. Nachher wird man gesehen und es heißt: „Guck mal: bei dem stimmt was nicht. Der hat es anscheinend nötig,“ statt: „Mann, guck mal, alle Achtung: der weiß, wie man im Leben weiterkommt!“ Was die Vor-Qualifikationen der Neu-Coaches anbetrifft, so sind viele heute allerdings umgekehrt aufgestellt wie damals. Heute haben viele hervorragende Business- und Branchen-Kenntnisse, sind BWLer, Ingenieure, Juristen, die als Führungskraft, Team- oder Projektleiter nun auch Coaching-Aufgaben wahrnehmen sollen oder wollen. Bei hervorragender Fach-Expertise haben sie häufig mehr oder weniger Defizite im Bereich der psycho-sozialen Kompetenz, weshalb Zusatzauflagen und Qualifizierungsstufen vom Basic über den Advanced bis zum Expert Level eingeführt haben, sozusagen vom qualifizierten Anfänger oder Junior Coach zur Meister-Klasse.

Wie entwickelte sich das Berufsbild des Coaches?

Uns war und ist es wichtig, ein offenes qualifiziertes Berufsbild für professionelle Coaches zu wahren. Es gibt sicher Bereiche, in denen Coaching ein schöneres Wort für Therapie ist. Doch dann ist es Therapie und ein Angebot für Menschen mit entsprechenden Problemen. Diese stehen unter einem besonderen gesetzlichen Schutz und dürfen nur von entsprechend qualifizierten Ärzten, Psychiatern und Therapeuten begleitet werden. Coaching im engeren oder eigentlichen Sinn ist aber ein Angebot an Gesunde auf Augenhöhe. Es basiert auf Wertschätzung und Respekt, leistet Hilfe zur Selbsthilfe oder bietet, wie mal jemand schrieb, Beratung ohne Ratschlag. Hier ist ein Psychopathologisieren übergriffig und schädlich und je nach Anliegen können sehr unterschiedliche Primärqualifikationen vergleichbar oder unterschiedlich hilfreich sein, wenn es jemandem am Selbstbewusstsein mangelt, jemand Feedback in schwierigen Situationen sucht, Schwierigkeiten mit seinem Team oder Konflikte mit seinem Nachbarn oder Lebenspartner hat.

Ein stimmiges, Qualität sicherndes, professionelles Berufsbild zu etablieren, wurde umso wichtiger, je mehr Coaching als eigenständige werthaltige Möglichkeit von Unternehmen und Privatpersonen entdeckt wurde. Das geschah vor allem nach der Jahrtausendwende und fand seinen Niederschlag in einer damals extrem anschwellenden Zahl von Coaching-Verbänden bzw. Berufsverbänden, Methodenverbänden und Interessensgruppierungen, die nun auch Coaching für sich entdeckten. Das geschah bei den meisten 10 Jahre nach Gründung der ECA und später. So ist die International Coach Federation (ICF), die Mitte der 90er in den USA gegründet wurde, erst seit 2001 in Deutschland präsent. Der dvct wurde 2003, der DBVC 2004 gegründet und so weiter. In dem Jahr erschien in management & training ein kritischer Artikel mit dem Titel „Die Verbands-Flut“. Auch der Berufsverband der Verkaufsförderer und Trainer (BDVT) erkannte die zunehmende Bedeutung von Coaching. 2004 haben wir zusammen mit dem BDVT, dem Bundesverband der deutschen Psychologen und Psychologinnen, der ICF und weiterer Organisationen an einem Roundtable die Entwicklung der schon damals äußerst heterogenen Coaching-Landschaft in Deutschland diskutiert und uns weiter für eindeutige, für Klienten und Kollegen konstruktive und hilfreiche Berufsstandards eingesetzt. Diese Aufgabe ist bis heute geblieben. Es hat sich zwar mehr und mehr ein Grundverständnis etablieren können. Doch finden auch in Fachkreisen immer noch Diskussionen statt und der allgemeine Sprachgebrauch ist nach wie vor recht unscharf, auch bei Anbietern von wirtschaftlichen Dienstleistungen.

Was bedeutet das Berufsbild für Menschenbild und Methodenansatz im Coaching?

Wir vertreten ein humanistisches Weltbild und treten für Methodenvielfalt und Multiprofessionalität im Coaching ein. Nicht jede Methode wird jedem gerecht und nicht jeder Coach passt zu jedem Klienten, auch nicht von seiner Primärqualifikation her. Der eine wünscht sich vielleicht einen Pädagogen oder Sport-Mentaltrainer, ein anderer einen Juristen mit Mediationserfahrung und wieder ein anderer einen BWLer mit Führungserfahrung in einem mittelständischen Unternehmen oder einen Psychologen und Burn-out-Experten. Der Coach als verantwortungsvoller Begleiter muss hier selbst seine Grenzen erkennen, falls erforderlich Kollegen mit Fachkenntnissen im Spezialgebiet hinzuziehen oder dem Klienten bei der Suche nach einem geeigneten Experten für sein Anliegen helfen. Coaching ist Hilfe zur Selbsthilfe und keine Manipulation, Indoktrination oder ähnliches. Es basiert auf einem klar definierten Vertrag. Wenn der Klient das nicht wünscht, machen wir keine weiteren Fenster auf, sondern respektieren seinen Wunsch. Natürlich kann sich das Anliegen im Laufe des Coachings verschieben oder ändern, sich ein Problem hinter dem Problem auftun. Die Frage bleibt aber, ob der Klient sich zum gegebenen Zeitpunkt dem widmen will, ob es für ihn in seinem Verständnis zielführend ist.

Der humanistische Ansatz unterstreicht Respekt, Wertschätzung und den Glauben an Potenzial und Selbstwirksamkeit jedes Klienten. Ziel des Coachings ist diese Ressourcen zu schützen, zu stärken, freizulegen und auszubauen, den oder die Klientin in vollstem Umfang zum Herr oder zur Frau ihrer Situation und Entscheidungen zu machen. Ethisch bedenkliche und diskriminierende Ansätze sind damit nicht vereinbar. So mussten wir etwa jemanden ablehnen, der mit Hilfe der Physiognomik coachen wollte.

Was sollte jemand beachten, der heute einen Coach sucht?

Coaching ist getragen von Vertrauen und Zutrauen, dazu zählen Diskretion, fachliche Kompetenz und auch Sympathie. Mag ich den Coach nicht oder habe ich Zweifel, ob er für mich der geeignete ist, wird eine vertrauensvolle Zusammenarbeit schwierig. Denn ein jedes Coaching ist ja auch eine Kooperation: Der Klient ist für das Was, der Coach für das Wie, den Weg, die Verfahrensweise verantwortlich. Kenne ich schon jemanden, der mit einem Coach gute Erfahrungen gemacht hat und für mich ansprechbar und auch bereit ist, mir dessen Namen zu geben, dann kann das ein erster Schritt sein. Es heißt aber noch nicht, dass er für mich persönlich passt oder über eine besondere Expertise auf meinem Gebiet verfügt. Vielleicht hatte mein Bekannter Schwierigkeiten am Arbeitsplatz, ich aber habe Partnerschaftsprobleme oder muss eine neue Position im Ausland antreten und fühle mich dabei nicht ganz wohl in meiner Haut.

Um mehr Transparenz und Orientierung zu schaffen hat die ECA (als erster Coaching-Verband) einen Coach-Finder eingerichtet. In diesem kann man sowohl regional als auch nach Erfahrungs- und Kompetenz-Schwerpunkten recherchieren. Reicht mir ein Junior-Coach, möchte ich eher einen erfahreneren Fach-Coach oder suche ich einen Experten? Alle Mitglieder müssen sich verpflichten, die ethischen Standards einzuhalten. Damit ist ein wertschätzender und diskreter Umgang miteinander sicher gestellt. Außerdem gibt es am Ende keine bösen Überraschungen. Die Honorar-Richtlinien, die für entsprechend qualifizierte Coaches gelten, stehen jederzeit einsehbar im Netz.

Was sollte jemand beachten, der selbst Coach werden möchte?

Die Tätigkeit als Coach setzt persönliche Stabilität, Lebens- und Berufserfahrung voraus und nicht zuletzt auch die Liebe zum Menschen. Ohne psychosoziale Kompetenz geht es nicht und ohne eigene Stressresistenz auch nicht. Manche Klienten suchen ein Feedback oder nach neuen Alternativen, andere sehen sich in besonders belasteten und fordernden Situationen. Dieses setzt beim Coach persönliche Reife, Abgeklärtheit und regelmäßige Supervision voraus. Die Ausbildung zum Coach ist also nicht ein Ein-Tages- oder Ein-Wochen-Seminar mit Vermittlung ein paar theoretischer Inhalte. Es ist ein Abklärungsprozess und damit  auch Teil der eigenen Persönlichkeitsentwicklung. Eine rein theoretische Ausbildung ist wenig sinnvoll. Idealerweise sollte die Ausbildung praxisorientiert erfolgen, ethische Grundhaltungen vermitteln, einen Überblick über professionelle Vorgehensweisen und Methoden vermitteln und die psycho-soziale Kompetenz des angehenden Coaches stärken. Und das alles an einem lizenzierten Institut bei lizenzierten Lehr-Coaches, wie es die lizensierten ECA-Lehr-Institute sicher stellen. Das gibt wichtige Hinweise und Orientierung in einem selbst für Experten nicht immer leicht durchschaubaren Markt, indem auch manches nur werbewirksam behauptet wird. Deshalb haben wir als erster Coaching-Verband in Deutschland Qualitätskriterien für Coaching-Ausbilder definiert und die Funktion des Lehr-Coaches geschaffen.

Eine Ausbildung ist aber immer nur der Anfang, nicht das Ende. Wer eine Ausbildung erfolgreich abgeschlossen hat, wird feststellen, dass er bereits erste Schritte erfolgreich gehen kann und sich durch Supervision weitere Unterstützung holen. Zugleich wird er auch feststellen, dass weitere Methoden oder Vertiefungskenntnisse hilfreich sein können und wo seine eigenen Grenzen liegen, insbesondere in der heutigen Zeit ständigen Wandels. Unsere schnelllebige Informationsgesellschaft fordert ein lebenslanges Lernen von jedermann und von Coaches, die den Anspruch erheben, andere Menschen in besonders fordernden Situationen zu begleiten, ganz besonders. Die ECA vertritt dementsprechend kein Senioritätsprinzip. Das jemand etwas lange macht, kann ein Qualitätshinweis sein, muss es aber nicht, insbesondere dann, wenn es ohne Supervision geschieht. Wir vertreten daher ein Qualifikationsprinzip, bei dem der Anfänger nach abgeschlossener Ausbildung und Vorliegen weiterer beruflicher und psychosozialer Nachweise als Junior Coach erste Erfahrungen sammelt, dann durch Weiterqualifizierung zum Fach-Coach und schließlich zum Experten wird. Je nach Tätigkeitsschwerpunkt gibt es dabei unterschiedliche weitere Qualifikationsbereiche, im ECA Advanced oder Expert Level. Die Expertise wird also spezieller je höher das Anspruchsniveau wird. Wobei natürlich auch hier im Laufe der Zeit weitere Qualifizierungen möglich sind. Wer als Sport-Coach arbeitet, qualifiziert sich vielleicht auch zum Gesundheits-Coach, wer als Management Executive Coach arbeitet qualifiziert sich vielleicht auch als Systemischer Coach oder ein Systemischer Coach wird vielleicht auch zum Familien-Coach oder Partner- & Sexuality Coach und so weiter.

Du führst den Verband seit 1997. Wie bist Du selbst Coach geworden?

Auch heute noch sagt wohl kaum jemand am Ende seiner Schul- oder Ausbildungszeit „Ich möchte Coach werden,“ auch wenn es inzwischen sogar universitäre Ausbildungsangebote in Coaching gibt. Berufs- und Lebenserfahrung halte ich für wesentliche Voraussetzungen für Problemkompetenz, Empathie, Denken in Alternativen und nicht zuletzt auch für die eigene Resilienz. Sie geben wichtige Ressourcen und erleichtern die Akzeptanz, insbesondere wenn man in belasteten und/oder sehr etablierten Kontexten arbeitet. Viele schlagen den Weg zum Coach in der Mitte ihres Berufslebens ein, als zusätzliche Kompetenz oder auch als bewusste Neu-Ausrichtung, in Organisationen oder in eigener Selbstständigkeit. Aber natürlich sind hier auch Themen und Zielgruppen entscheidend. Man kann mit 25 Jahren durchaus Kommilitonen durch die Prüfung coachen oder bei Entscheidungsschwierigkeiten helfen.

Ich selbst wurde 1946 geboren, also unmittelbar nach dem Krieg. Damals ging es ums Überleben. Meine Familie würde man mit heutigem Vokabular als bildungsferne Patchwork-Familie mit partiellem Migrationshintergrund beschreiben. Mein Vater stammte aus der Ukraine. Aufgrund seiner Herkunft wurde er noch angespuckt. Mehr oder weniger durch Zufall begann ich mit 14 eine Ausbildung zum Modellschlosser. Ich war bildungshungrig sog alles in mich hinein, lernte verschiedene Musikinstrumente, zeichnete viel und wollte weiter auf die Ingenieursschule gehen. Ein Rückenleiden zwang mich aber zur Umschulung. Da ich gern, viel und gut zeichnete, empfahl man mir eine Ausbildung zum Graphiker. Ich illustrierte ich medizinische Fachbücher und vor allem zoologische Editionen, bis eine Verschlimmerung meines Rückenleidens eine Operation notwendig machte. Nur mit Glück entging ich auf Dauer dem Rollstuhl. In der Reha fasste ich den Entschluss Sozialarbeit zu studieren, um Menschen in ähnlicher Situation helfen zu können. Schon früher hatte ich alles Mögliche gelesen, unter anderem Rudolf Steiners Schrift über die zwölf (!) Sinne des Menschen, die ich gleich mehrfach lesen musste, bevor ich sie verstand. Ich legte die Begabtenprüfung ab, studierte Sozialarbeit mit Fachrichtung Reha und Sozialtherapie in Heidelberg und nutzte von nun an jede Möglichkeit, mich im psychosozialen Bereich fortzubilden. Schon neben dem Studium assistierte ich in gruppentherapeutischen Sitzungen und gleich nach dem Abschluss als Sozialarbeiter, habe ich eine dreijährige Ausbildung am Psychotherapeutischen Zentrum in Stuttgart gemacht und parallel dazu Erziehungswissenschaften in Frankfurt studiert. Nach meinem Diplom habe ich weitere Fortbildungen von Hypnose bis Sexualtherapie absolviert, beruflich als Gruppentherapeut, Leiter einer ökumenischen Beratungsstelle und schließlich als Leiter einer psychosomatischen Suchtklinik in Tecklenburg gearbeitet, bevor ich mich 1983 mit einer eigenen Praxis für Psychosozialtherapie in Düsseldorf selbstständig machte. Damals stand für mich jedoch schon fest, dass ich nicht im klinischen Bereich, sondern im Bereich konstruktiver Persönlichkeitsentwicklung und Potentialentfaltung arbeiten wollte. So habe ich später das Lehrinstitut Pro-Genius und das Institut für Business- & Managment Coaching gegründet, aus denen schließlich die Academy ECA Sozietät hervorging.

Was hat sich für Dich durch die ECA verändert? Wie nah bist Du noch am Coaching-Alltag – oder anders gefragt: was sollte jemand beachten, der auf Dauer als Coach arbeiten möchte?

Die Gründung der ECA brachte auch für mich neue, ergänzende Herausforderungen  und es freut mich, dass ich 1997 zu ihrem Vorsitzenden gewählte wurde und sie seither durch alle möglichen Höhen und Tiefen leiten und begleiten konnte, bis hin zu Prozessen gegen wettbewerbsschädigendes Verhalten, die bis zum Bundesgerichtshof führten. Dass andere Verbände von uns entwickelte Qualitätskriterien, Organisations- und Kommunikationsformen übernommen haben, werte ich dagegen als Zeichen indirekter Anerkennung.

Aus meiner eigenen Bildungs- und Berufsbiographie weiß ich, wie hilfreich Lebenserfahrung und unterschiedliche Perspektiven und Methoden sind. Deshalb halte ich Multiprofessionalität und Methodenvielfalt für eminent wichtig und habe 2004 die ECA Sozietäten angeregt, in denen Kollegen mit unterschiedlichem Background zusammen arbeiten. Für mich sind Coaching, Erwachsenenbildung und lebenslanges Lernen untrennbar miteinander verbunden. Ich habe in vieles hineingeschaut und selbst wenn etwas sehr ähnlich war, hat auch die neue Sichtweise mich immer wieder interessiert und inspiriert. So bin ich auch NLP-Lehrtrainer, habe mich mit Aufstellungen beschäftigt, bin Supervisor der Deutschen Gesellschaft für Verhaltenstherapie und habe in manches andere noch hineingeschaut, insbesondere seit sich mein Coaching-Schwerpunkt mehr und mehr in den Business-Bereich verschoben hat. Auch aktuelle nehme ich weiterhin – mehrmals im Jahr – in unterschiedlichen Methoden an Weiterbildungen teil. Die Aufgaben des Vorsitzenden der ECA sind seit den Anfangsjahren durch die zunehmende Mitgliederzahl, neue Aufgaben und die engere Vernetzung in Europa immens gewachsen. Um der Internationalisierung und dem Aufgabenzuwachs gerecht zu werden, wurde die Funktion in „geschäftsführender Präsident“ umbenannt, was einen großen Einsatz verlangt, wenn man wie ich weiterhin aktiv als Coach in eigener Praxis arbeitet und in der Academy ECA Sozietät als Lehr-Coach Coaching-Ausbildungen leitet.

Wer auf Dauer als Coach arbeiten möchte, sollte also zunächst einmal seine Eigenmotivation, seine Vorkenntnisse und seine wirtschaftlichen Möglichkeiten abklären. Warum will ich das? Mit wem will ich arbeiten? In welchen Kontexten? Was bringe ich dazu mit? Will ich eher mit Privatpersonen arbeiten oder im Business-Kontext? Freiberuflich oder angestellt? Nebenberuflich oder hauptberuflich? Wenn Standort und Rolle abgeklärt sind: was hilft mir dabei? Welche Aus- und Weiterbildungen, Zertifizierungen und Lizensierungen? Wo finde ich einen optimalen Austausch? Wo geeignete Supervisoren? Wo kann ich Netzwerkpartner finden, wo selbst gefunden werden? Wie bleibe ich auf dem Laufenden und kriege mit, was sich methodisch und auf dem Markt tut? Neben dem Coach Guide (Finder) und den von uns entwickelten Qualifizierungs- und Weiterbildungsstandards veranstaltet die ECA hierzu Vortragsabends mit anschließender Diskussion und Gelegenheit zum gegenseitigen Kennenlernen als jour fix an unterschiedlichen Orten Deutschlands und anderswo, außerdem internationale Kongresse, in der Vergangenheit in verschiedenen Ländern Asiens. Unsere Konferenz „Coaching-Planet“ findet jährlich in St. Petersburg statt. Zusätzlich informiert die ECA ihre Mitglieder über berufsrelevante Entwicklungen, Diskussionen und Veränderungen durch Fachartikel und die interessierte Öffentlichkeit durch Pressemitteilungen.

Wie steht es heute mit der Akzeptanz von Coaching? Wer nutzt es und wem könnte es helfen? Hat es hier größere Veränderungen gegeben?

Insbesondere im letzten Jahrzehnt konnte sich Coaching als ein eigenständiges Angebot mehr und mehr etablieren, als Angebot für Privatpersonen in wichtigen lebensweltlichen, partnerschaftlichen, beruflichen oder Karriere-Angelegenheiten und als höchst effektive Möglichkeit der Personalentwicklung für Unternehmen und Organisationen. Viele haben heute erkannt, dass die vermeintlich höhere Investition in Mitarbeiter mittel- und langfristig weiter trägt als ein Gruppentraining. In vielen Unternehmen wünscht man sich heute Führungskräfte mit einer Zusatzausbildung im Coaching und alle möglichen Träger von der IHK über Hochschulen bis zu Verbänden bieten heute Ausbildungen an. Damit kommt man der zunehmenden Nachfrage entgegen, verliert aber oft Praxisbezug und Standards aus den Augen. Oft sind diese Ausbildungen zu voraussetzungslos, zu kurz und/oder zu theoretisch.

Positiv gewendet könnten wir dieses als Indikator für ein zunehmendes Problem- und Möglichkeitsbewusstsein und den damit einhergehenden Spagat als Kostenfaktor sehen. Qualität hat natürlich ihren Preis, aber der Preis der innerbetrieblich oder auch lebensweltlich entsteht, wenn nicht zeitnah hilfreiche Alternativen entwickelt werden, ist in der Regel bedeutend höher. Wir gehen davon aus, dass in unserer schnelllebigen und veränderungsreichen Zeit 80 Prozent der Bevölkerung mindestens einmal, aber vermutlich öfter von einem Coaching profitieren würden. Eigentlich müsste man es sogar zu einem Schulfach machen. Damit könnte gerade die Persönlichkeitsentwicklung Heranwachsender konstruktiv begleitet und mehr Gestaltungsfreiraum für künftige Entscheidungen, Krisen, Konflikte, Schicksalsschläge gewonnen werden. Viele erleben die erste Liebe, erste Konflikte, kommen aus Patchwork-Familien, haben erste Jobs, sollen Prüfungen bestehen und sogenannte Lebensentscheidungen treffen. Einen offenen Blick behalten oder erstmal herstellen, Wahrnehmungspositionen wechseln, etwas systemisch betrachten und sich selber, seine Werte und Bedürfnisse, besser zu verstehen könnte vielen helfen.

Mit der gewachsenen Akzeptanz scheint auch die Anzahl der Methoden und Verbände sprunghaft gestiegen zu sein. Manchmal ist nicht mehr klar, ob es um Innovation oder Marketing geht. Ist das Berufsbild heute klarer als früher?

Früher gab es eine Vielzahl von Methoden und heute auch. Das ist zunächst einmal positiv. Denn nicht jede Vorgehensweise oder Methode passt für jeden. Weiterentwicklungen oder Neuansätze schaffen Alternativen, die neue Möglichkeiten eröffnen. Hier gab es in den letzten Jahren wichtige Bereicherungen, wenn wir etwa an wingwave oder die sogenannte Klopfakupunktur denken. Andererseits lässt sich auch nicht übersehen, dass eine Tendenz zu Neuschöpfungen da ist, die eher im Sinne des Marketings als Alleinstellungsmerkmal verstanden werden kann. Das erschwert sicher dem Außenstehenden, der einen Coach sucht, durch die Fülle unterschiedlicher Angebote die Orientierung, ist aber legitim solange die Berufsstandards eingehalten werden und kann auch als eine Bereicherung wahrgenommen werden. Ein neuer Blickwinkel, auch ein neuer Name, kann Hoffnung und Mut zur Veränderung stiften.

Etwas anderes ist es, wenn mit zweifelhaften Versprechungen und Vorgehensweisen verfahren wird. Coaching ist kein geschützter Begriff und auch wenn es heute einen breiteren Konsens gibt, wie Coaching als kompetente Prozessbegleitung bei der Hilfe zur Selbsthilfe erfolgt, ist der allgemeine Sprachgebrauch nach wie vor recht schwammig und dementsprechend das Verständnis der breiteren Bevölkerung recht unklar. Dadurch lassen die einen wichtige persönliche und berufliche Chancen ungenutzt, andere kommen mit falschen Erwartungen. Die ECA setzt sich seit zwei Jahrzehnten für ein klares Berufsbild ein, hat Ausbildungsstandards und Qualitätskriterien formuliert. Acht, zehn Jahre nach unserer Gründung entstanden eine ganze Reihe weiterer Verbände. Heute gibt es mehr als 20 Coaching-Verbände in Deutschland. Manche haben eine minimale Mitgliederzahl, andere noch nicht einmal ein Homepage. Alter, Mitgliederzahl und teure Websites sind nicht notwendigerweise Qualitätskriterien, doch manchmal sind Verbandssiegel nicht unbedingt Qualitätssiegel. Diese Undurchsichtigkeit hilft nicht dem Klienten, hilft nicht dem Ausbildung Suchenden und hilft nicht dem Berufsbild und Berufsstand in der Öffentlichkeit. Ähnlich wie bei zweifelhaften Methoden und Vorgehensweisen gilt auch hier: der Wildwuchs schießt sich mittelfristig selbst ins Knie. Die Anzahl der Verbände wird in den nächsten Jahren deutlich schrumpfen. Wir spüren dass auch an Übertritten von anderen Verbänden und setzen uns weiter für professionelle Standards ein. Als Berufsverband sind wir in der Lobbyisten-Liste des Deutschen Bundestags verzeichnet.

Wie siehst Du die technischen, die multimedialen Veränderungen im Coaching?

Sowohl im Business Coaching wie auch auf dem offenen Markt ist eine Zunahme neuer Angebotsformen zu beobachten. Sie reichen vom Coaching per Telefon über online oder Chat-Angebote bis zu Skype und Video-Schaltungen. Die Nutzung moderner Kommunikationstechniken kann im Zweifelsfall dann, wenn es drauf ankommt, eine größere Klienten-Nähe schaffen: der Coach ist, wenn das so abgesprochen ist, im Bedarfsfall besser erreichbar. Es hat aber auch seine Schattenseiten – und damit meine ich nicht nur den Status eines 24-Stunden-Abruf-Coaches. In vielen Coaching-Prozessen ist es nicht nur hilfreich, sondern geradezu essentiell die Reaktion des Klienten detailliert und in Echtzeit wahrzunehmen. Wo schluckt er, wo stockt ihm der Atem, wo werden die Lippen blass, zuckt der Nasenflügel oder weitet sich die Pupille. Das ist beim heutigen technischen Stand kaum möglich, insbesondere was Mikroexpressionen, die übers Gesicht huschen, anbetrifft. Jeder sollte von daher überlegen, wann, wie oft und in welchem Ausmaß Coachings per Telefon oder Videoschaltung hilfreich sind und dabei müssen auch die Kriterien des geschützten Raumes, der Vertraulichkeit und Ungestörtheit erfüllt sein. Und der Klient muss sich dabei wohlfühlen. Manche Klienten treffen sich lieber außerhalb der Coaching-Räume an einem neutralen Ort. Manche haben eine große Technik-Affinität und für andere verursacht es weitere Probleme.

Was wünscht Du Dir für die weitere Entwicklung des Verbandes in Deutschland, Europa und darüber hinaus?

Was vor 25 Jahren mit anderen Akzenten in einem anderen Kontext begann, hat heute in Deutschland eine solide Basis gefunden. Es waren bisher zwei spannende Jahrzehnte vielfach gefüllt mit Pionierarbeit und manchmal auch mit Rechtsstreitigkeiten, wenn wir für Berufsfreiheit und gegen übergriffige Marketing-Strategien gestritten haben. Heute sind eine Vielzahl hochqualifizierter Coaches aus unterschiedlichen Berufs- und Methoden-Bereichen Mitglieder der ECA, unter ihnen einige der innovativsten Begründer und Weiterentwickler. Ich wünsche mir, dass Austausch und Kooperation innerhalb unseres Verbandes weiter wachsen und es uns gelingt ein professionelles Berufsbild von Coaching noch mehr als bisher zu verankern: im Interesse unserer Mitglieder und Kollegen, aber auch im Interesse all derer, denen Coaching in ihrem Alltag oder Beruf oder Unternehmen weiterhelfen könnte, die es aber bisher noch nicht oder nicht hinreichend nutzen.

Außerhalb Deutschlands sind wir inzwischen in fast allen europäischen Mitgliedsstaaten vertreten und arbeiten auch dort an einer Professionalisierung des Berufsstandes. Die Voraussetzungen in unterschiedlichen Staaten sind dabei teilweise höchst unterschiedlich, je nach Traditionslinien und kulturellen Prägungen. Bei einigen ist Coaching eher als eine Form von Training oder Consulting etabliert, bei anderen eher konservativ-patriarchalisch geprägten Kulturkreisen ist es oftmals noch eine große Hürde, sich mit seinem Anliegen jemandem außerhalb der Familie zuzuwenden. Unterschiedlichen ökonomischen Möglichkeiten kommen wir auf der Kostenseite entgegen und konnten schon eine Reihe von Kongressen in unterschiedlichen Staaten erfolgreich durchführen. Dieser Austausch auf internationaler Ebene war stets für alle Beteiligten fruchtbar und bereichernd. Gedankenaustausch und internationales Networking gilt es fortzusetzen, unsere Kollegen vor Ort durch Informationsaustausch und Veranstaltungen zu unterstützen und dadurch auch Klienten, die vom einen ins andere Land wechseln, verlässliche Unterstützung anzubieten.

Besonders freut mich, dass wir mittlerweile den engeren europäischen Rahmen überschreiten und durch unser Auslandspräsidium und weitere Mitglieder auch außerhalb der Europäischen Union an einem humanistischen, professionellen Coaching-Verständnis arbeiten und in einem internationalen Austausch stehen. Hierzu zählen insbesondere der von Dr. Werner Regen organisierte Kongress „Coaching Planet“, der in 2020 bereits zum neunten Mal in St. Petersburg stattfinden wird und diesmal das Thema Neurocoaching.

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